Interview mit Dr. Philippe Guillaume dem Chef von Modartt

InterviewMusiker sind, glaube ich, neugierige Menschen. Zumindest was den Bereich Technik angeht. Meine Neugier beschränkt sich dabei aber nicht nur auf neue Hardware, sondern ist auch schon seit einiger Zeit für eine bestimmte Art der Software vorhanden. Ich spreche vom Physical Modeling. Im Internet kann man einige Theorien dazu lesen, was mich allerdings nicht richtig zufrieden gestellt hat. So fasste ich schon vor einiger Zeit den Entschluss, einmal bei einem Praktiker nachzufragen, wie es in der Praxis funktioniert.

 

Allerdings hatte ich da ein paar Hürden im Kopf, die mich bisher davon abhielten, dieses Vorhaben in die Tat um zu setzten:

  • Es wäre mein erstes Interview mit einem Software Entwickler.
  • Ich würde ein Terrain betreten, von dem ich nur geringe, theoretische Kenntnisse habe.
  • Ich müsste das Interview in einer Fremdsprache führen, in der viele technische Dinge doch Neuland für mich sind, da ich sie im Alltag kaum, oder gar nicht brauche.
  • Ich betreibe zwar einen recht erfolgreichen Blog, bin aber kein Journalist. Wie würde also meine Anfrage nach einen Interview ankommen?

Als ich nun kürzlich die neue Hohner Collection von Modartt/Pianoteq für einen Testbericht erhielt, war mein Interesse wieder neu geweckt. Und, nach einigem Überlegen, überwog schließlich die Neugier und ich fragte einen Termin für ein Interview mit Herrn Dr. Philippe Guillaume an.
Nach zwei Tagen erhielt ich eine Mail, in der mir zwei Termine angeboten wurden. Ich habe mich dann für den nächst möglichen entschieden. In der Mail stand auch etwas von einem gemeinsamen Mittagessen.
Bis dahin waren es noch ein paar Tage, so dass ich mir einige Fragen überlegen konnte.
Am Mittwoch, den 06. Mai, war es dann soweit. Ich machte mich auf den Weg nach Ramonville St. Agne, einem Vorort von Toulouse im Südwesten Frankreichs. Das ist etwa 130 KM von meinem Wohnort in den Pyrenäen entfernt.
Ich fuhr extra etwas früher los, denn man weiß nie, ob es in und um Toulouse Staus gibt, oder nicht. So war ich dann auch etwas zu früh da. Die Firma Modartt ist in einem Technologie Park ansässig. Hier findet man einige High Tech Unternehmen, in denen Produkte für die Zukunft entwickelt werden.

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In dem Gebäude befinden sich einige Firmen und man muss sich am Empfang anmelden. Schon kam meine Nervosität zum Vorschein, denn mir fiel der Name meines Gesprächpartners einfach nicht ein. Nach einigem Gestammel gab mein Gedächtnis dann doch nach und ich konnte der Dame am Schalter endlich sagen, zu wem ich wollte. Dr Philippe Guillaume kam lässig aus einem Gang und empfing mich sehr freundlich mit den Worten:“Bonjour Martin. In welchen Sprachen möchten Sie das Interview führen, französisch, englisch, oder deutsch?“ Wobei er natürlich französisch sprach. Ich entgegnete selbstbewusst:“ So weit es mir möglich ist, möchte ich bei französisch bleiben. Nur wenn ich nicht mehr weiter weiß, würde ich gerne ins englische wechseln.“
Wer nun gedacht hat, Philippe würde mich in ein mondänes Büro führen, liegt total falsch. Ganz im Gegenteil teilen sich die Mitarbeiter von Modartt ein Büro mit den Mitarbeitern einer anderen Firma und bilden so eine Bürogemeinschaft. An das Büro grenzt ein kleiner Konferenzraum, in den wir uns, nachdem ich alle Anwesenden mit Handschlag begrüßt hatte, zurückzogen.

 

Nun konnte ich meine Fragen stellen:

Martin: Philippe, Sie haben lange als Instrumentenbauer in einem Pianohaus gearbeitet. Und ich habe irgendwo gelesen, dass Sie damals auch ältere Instrumente restauriert haben. Dann, mit über 30 Jahren, fingen Sie an, Mathematik zu studieren. Haben Sie eine neue Herausforderung gesucht, oder hatten Sie da schon die Idee, eine Software zu entwickeln?
Philippe: Nein, ich habe damals keine älteren, oder gar historische Instrumente restauriert. Das kam erst viel später. Ich hatte mich, neben der Arbeit als Instrumentenbauer, schon länger für mathematische Zusammenhänge interessiert. Während des Mathematikstudiums habe ich dann ein Seminar im INSA belegt.

Martin: Da schließt sich die nächste Frage an: Wie sind Sie dann mit Physical Modeling in Kontakt gekommen?

Philippe: Dort, im INSA (Institut National des Sciences Appliquées), wurde nach neuen Studiengängen gesucht. Es kam der Vorschlag, Musik, Informatik und Mathematik zu verbinden. Wir erhielten dann die Aufgabe, eine Software zu entwickeln mit der man Musik aufnehmen kann. Zusammen mit dem Kollegen Dr. Julien Pommier habe ich dann die ersten Grundlagen für Pianoteq entwickelt. Daran haben wir in der Folge von 2003 bis 2006 gearbeitet.

Martin: Modartt ist ja nicht die einzige Firma, die mit Physical Modeling arbeitet. Allerdings habe ich den Eindruck, das Physical Modeling nicht gleich Physical Modeling ist.

Philippe: Die Unterschiede liegen, nach meiner Ansicht, in den physikalischen Details. Es gibt Hersteller, die haben ein physikalisches Modell entwickelt, welches sie für verschiedene Instrumente verwenden. Wir hier bei Modartt sind hauptsächlich auf Tasteninstrumente, wie Pianos und elektrische Pianos spezialisiert. Dazu haben wir ebenfalls ein physikalisches Modell entwickelt und dann aber auch Feintuning betrieben, also recht umfangreiche Details zum Modell hinzu gefügt. Einige Parameter können in der Pianoteq Software auch vom Benutzer, seinen Bedürfnissen entsprechend, eingestellt werden.

Martin: Wie funktioniert Physical Modeling? Ich kenne die Vorgehensweise, wie man ein Instrument sampled. Können Sie mir sagen, inwieweit die Arbeit die gleiche ist und wo die Unterschiede liegen?

Philippe: Im Prinzip ähneln sich beide Methoden bis zu dem Punkt, an dem das Material, welches aufgenommen wurde, weiter verarbeitet wird. Wir nehmen dann das aufgenommene Material und analysieren die einzelnen Dateien, zum Beispiel auf die enthaltenen Frequenzen und deren Verteilung in einem Raum. Weiter ins Detail kann ich hier nicht gehen, da ich unser physikalisches Modell natürlich nicht in allen Einzelheiten erklären kann. Hier sind wir aber auch wieder bei der Eingangsfrage nach der Restaurierung von alten, historischen Instrumenten. Uns ist es gelungen, diese Instrumente, wie sie zum Beispiel im Schloss Kremsegg stehen und nicht mehr ihren ursprünglichen Klang haben, virtuell mit unserer Software zu restaurieren.

Martin: Philippe, eine letzte Frage habe ich noch. Wie Sie schon erwähnt haben beschäftigen Sie sich überwiegend mit Pianos und elektrischen Pianos. Haben Sie vor, in Zukunft auch andere Instrumente in die Produktpalette aufzunehmen? Beispielsweise Gitarren, oder Schlagzeuge?
Philippe: Das ist eine gute Frage. Und sie überrascht mich ehrlich gesagt ein wenig. Wer braucht eine virtuelle Gitarre?

Martin: Zum Beispiel Komponisten oder Produzenten, die zwar ein Tasteninstrument, aber eben nicht Gitarre spielen können, die aber trotzdem eine erste Idee festhalten möchten, die dann später von einem „echten“ Gitarristen im Studio eingespielt wird.

Philippe: Ja, das ist ein Argument. Aber es ist gar nicht so leicht, eine Gitarre mit einem physikalischen Modell zu erfassen. Da gibt es ja jede Menge Interaktion zwischen dem Musiker und dem Instrument. Es wäre zwar möglich, das zu realisieren, aber es wäre sehr viel Arbeit und die muss sich dann auch finanziell armortisieren. Da habe ich meine Zweifel, ob das gelingen kann. Beim Schlagzeug sieht das etwas anders aus. Die Toms sind dabei eigentlich kein Problem. Die Schwierigkeit liegt bei den Becken und vor allen Dingen bei der HiHat. Das würde ebenfalls einigen Aufwand erfordern. Aber für die fernere Zukunft könnten wir mal darüber nachdenken. Im Moment arbeiten wir an einem neuen Saiten basierten Instrument! Bis das auf den Markt kommt, wird es aber bestimmt noch mindestens ein Jahr dauern.
Nachdem wir das Interview beendet hatten, fuhren wir alle zusammen zum Mittagessen in ein nettes Restaurant. Dort wurde über die Möglichkeit diskutiert, einen Minimoog mit Physical Modeling zu bearbeiten. Zurück im Büro spielte ich Philippe eine CD mit einigen Stücken, die ich zusammen mit einem Kollegen komponiert habe, vor. Gegen 15 Uhr fuhr ich nach Hause zurück.
Insgesamt war es ein schöner Tag, denn er verlief entspannter, als ich mir das vorher gedacht hätte.
Merci Philippe!

 

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